• Trachten in Bayern

    Ursprünge, Mythen und das Oktoberfest

    Lederhose und Dirndl – zwei Kleidungsstücke die mindestens so bayerisch sind wie Weißwurst, Schuhplatteln oder Reinheitsgebot. Doch woher kommt der Brauch rund um die festliche Tracht? Wurde sie wirklich von einfachen Bauern getragen? Und wie passt sie in das Bild des modernen Oktoberfests? Wir haben uns auf Spurensuche begeben und dabei einige bemerkenswerte Funde gemacht.

Die bayerische Tracht – jünger als man denkt

Es wird manche überraschen, doch die bayerische Tracht, wie wir sie kennen, ist nur rund 200 Jahre alt. Alles begann am 12. Oktober 1810 mit der Hochzeit zwischen Ludwig I. und Therese von Sachsen-Hildburghausen. Weil man das Gemeinschaftsgefühl im erst vier Jahre jungen Königreich Bayern stärken wollte, hatte Ludwigs Vater – König Max Joseph I. – einen Trachtenumzug veranlasst. Bei der Modenschau traten Kinder aus allen Gebieten des Reichs mit regionaltypischer Kleidung auf. Unter anderem auf diesen Modellen basierend wurden in den Folgejahren aufwendige Versuche unternommen, eine einheitliche bayerische Tracht einzuführen. Bis heute existieren geringe regionale Unterschiede in ihrer Ausführung, doch im Großen und Ganzen wurde das Ziel erreicht. Beispielsweise bietet kein respektables Trachtengeschäft ein Dirndl ohne passende Schürze an, egal, ob Sie im Allgäu, in Regensburg oder in München einkaufen. Auch die Haferlschuhe zu den Lederhosen sind ein Muss, ebenso wie das Bedecken der männlichen Waden mit Loferl oder Strümpfen.

Trachten Bei Ed Meier ⁄ Foto Christian Kasper

© München Tourismus – C. Kasper

Biergarten München Brotzeit ⁄ Foto Christian Kasper

 © München Tourismus – C. Kasper

Mythos „Dirndl und Lederhose in Bayern“

Dennoch dauerte es lange, bis Leute überhaupt von einer „bayerischen Tracht“ sprachen. Über mehrere Generationen hinweg musste ein nicht unerheblicher „PR-Aufwand“ betrieben werden, bis sich das Einheitsgefühl im Freistaat ausreichend etabliert hatte. Eine schleppende Entwicklung, die der Tatsache geschuldet war, dass die sogenannte Traditionstracht anfangs von der herrschenden Klasse vorgegeben wurde und sich nicht organisch aus dem Volk entwickelte, wie es manchmal behauptet wird. Überhaupt erscheint die Kleidung nicht besonders alltagstauglich. In echten Lederhosen schwitzt man sehr schnell, während sie bei Nässe furchtbar langsam trocknen. Äußerst unwahrscheinlich also, dass Bauern darin besonders oft das Feld bestellten. Plausibler erscheint vielmehr, dass der Adel die bayerische Tracht später selbst massentauglich gemacht hat. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert ließen sich die Mitglieder der städtischen High Society für ihren Sommerurlaub auf dem Land gerne ein fesches Dirndl oder ein Paar stramme Lederhosen schneidern. Die Gewänder wurden dann auf der Jagd, zur Weinprobe oder bei der Überlandfahrt in der Droschke getragen. Die neue Mode dürfte Anklang beim Landvolk gefunden haben, das den Trend daraufhin replizierte und die Tracht zu ihrer Festtagskleidung machte.

Die bayerische Tracht und das Oktoberfest

Bleibt die Frage, warum heute gefühlt alle Menschen mit Tracht aufs Oktoberfest kommen. Um sie zu beantworten, springen wir noch einmal zurück: Für die Hochzeitsfeier zwischen Ludwig I. und Therese von Sachsen-Hildburghausen wurde jegliche Zurückhaltung über Bord geworfen. So diente die 42 Hektar große Theresienwiese (damals noch vor den Toren Münchens) als Eventlocation der fünftägigen Feierlichkeiten. Auch für das Programm wurden keine Kosten und Mühen gescheut. Unter anderem fand auf dem riesigen Areal ein Pferderennen statt, das sich mit 40.000 Zuschauern als so großer Erfolg entpuppte, dass es in den kommenden Jahren wiederholt wurde. Auch die Gastronomie und das restliche Unterhaltungsprogramm rundherum wurden von Jahr zu Jahr größer, die Festzelte zahlreicher, die Organisation professioneller. Kurz: Im Laufe der nächsten hundert Jahre entwickelte sich das Oktoberfest beim Volk zum Jahreshöhepunkt, der nur das Tragen der besten Garderobe verdiente.

Lebkuchenherzenstand Auf Der Wiesn ⁄ Foto Christian Kasper

© München Tourismus – C. Kasper

Nr. 1978s Oktoberfest Bei Nacht 2 Foto Tommy Loesch

Titelbild: © München Tourismus – T. Loesch

Das moderne Oktoberfest und die Trachtentradition

Der Fortbestand der Trachten-Tradition auf der Wiesn ist trotzdem keine Selbstverständlichkeit: In den 1980ern oder ‘90ern sah man in München selbst während der Oktoberfestzeit wenige Dirndl oder Lederhosen. Erst innerhalb der letzten zwanzig Jahre erwachte der Brauch wieder zum Leben, und so tragen heute Oktoberfest-Gäste aus allen Erdteilen eine bayerisch-inspirierte Tracht. Und warum nicht? Es wird einem leichtgemacht: Ob am Flughafen, am Bahnhof oder im Lebensmittel-Discounter – von Mitte September bis Anfang Oktober kann man sich überall in München günstige Trachten kaufen. Was Muster, Farbe und Rocklänge der Dirndl angeht, sind der Fantasie dabei keine Grenzen gesetzt. Traditionalisten sprechen in vielen dieser Fälle zwar nicht mehr von einer „bayerischen“ Tracht, aber wenn Sie dieser Rückblick eines gelehrt haben sollte, dann, dass selbst ausgewachsene Traditionen anfangs auf wackligen Beinen stehen.

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